Der 19. Mai wird in der Türkei als Nationalfeiertag gehuldigt und man gedenkt dem Beginn des Befreiungskriegs unter Mustafa Kemal Paşa (Atatürk) am 19.Mai 1919. Es ist nicht nur der Tag der Jugend und des Sports, es wird auch das Gedenken an Atatürk geehrt. Heute wichtiger, denn je.

Text & Bild: Markus Mallaun


 

Gestern sass ich in meinem Lieblingskaffe, hatte noch die letzten Simit-Reste zwischen den Zähnen, als mich eine Nachricht erreichte: „Heute essen wir bereits etwas früher, damit wir um acht loslaufen können“. Sehr ungewöhnlich in meiner Türkischen Familie. Wir essen im Normalfall meistens so um neun. Mediterranean Style.

Aber heute ist ein ganz spezieller und wichtiger Tag. Kurz vor Sonnenuntergang werden sich alle hier in Sarköy beim zentral gelegenen Kriegsdenkmal versammeln, um am grossen Fackelzug teilzunehmen. Deshalb wird zeitig gegessen.

Der Nationalfeiertag – zu Gedenken an Mustafa Kemal Atatürk

Der 19. Mai 1919 ist der Tag, an dem die damals noch taufrische Türkei ihren Unabhängigkeitskampf aufnahm und sich gegen ihre Besatzungsmächte auflehnte – angeführt vom Vater aller Türken (wie sein Name wortwörtlich übersetzt bedeutet); Mustafa Kemal Atatürk. Wer noch nie in der Türkei war, kann sich dies vielleicht nicht so richtig vorstellen: Aber das Erbe Atatürks und seine Bedeutung als stärkste Figur in der Gründungsphase der modernen Türkei ist hier überall omnipräsent. Er wird verehrt, gehuldigt und ist für viele Türken die Identifikationsfigur schlechthin. Kein Dorf ohne Atatürk-Denkmal, gefühlt auf jedem zweiten Autoheck prangt der bekannte Schriftzug Atatürks und sogar mein Schwiegervater kam mit über 70 Jahren auf die Idee, sich seine Unterschrift auf den Unterarm tätowieren zu lassen.

 

Vorfreude

Kurz nach acht Uhr trafen wir uns alle zusammen beim Kriegsdenkmal von Sarköy. Hunderte Türkeifahnen, Bilder mit Atatürk-Portraits, trommelnde und Klarinette spielende Musikanten, der örtliche Karate-Verein, der Bürgermeister, die Feuerwehr – alle waren sie dort, in den Gesichtern Freude und Stolz, gepaart mit der herzerwärmenden Erinnerung an den Vater aller Türken.

 

Der Umzug

Als die Sonne hinter dem Horizonts des prächtigen Marmara-Meers unterging und die Szenerie in sanft goldenes Licht umhüllte, setzte sich der Umzug Fahnen schwingend in Bewegung. „Mustafa Kemalin Askerleriyiz“, brüllte es aus hunderten stolzen Kindern Mustafa Kemals. „Wir sind die Soldaten von Mustafa Kemal“, wie das auf Deutsch übersetzt bedeutet oder – etwas feinfühliger übersetzt: „Wir sind die Hüter der Demokratie, deines Gedankenguts, der Republik“. Stärker kann man seine Gefühle und Sorge um die heutige Türkei wohl nicht ausdrücken. Ich bekomme dabei immer Gänsehaut.

 

Viele Besucher, Emotionen und Nationalstolz

So bewegte sich der Umzug langsam, singend, schwingend und lachend durch die ganze Stadt Sarköy, vorbei an vielen Schaulustigen und Menschen, die Fahnen mit Atatürks Portrait aus den Fenster hängen hatten und dem Umzug zuwinkten. Angeführt von einem rot-blau-blinkenden Fahrzeug der Polizei, das aus mir unerklärlichen Gründen aus vollem Rohr die Sirenen laufen liess – total komisch, unnötig und doch irgendwie passend.

„Selbst wenn man jede Pflanze ausreisst, kann man den Frühling nicht aufhalten.“

Als es bereits ganz dunkel war und der Umzug die Atatürk-Caddesi (Atatürk-Allee) erreicht, zündeten die Wunderkerzen und imposant sprühende Bengal-Fakeln. Im Dunkel der Nacht entstand eine mystische Lichtstimmung, wo sich das Rot des Fahnenmeers und das Leuchten der bengalischen Fakeln mit dem Feuer des Nationalstolz vereinten.

Die Hoffnung auf die Zukunft

Der Umzug endete auf dem grossen Platz (der selbst erklärend Atatürk Meydani heisst und eine übergrosse, goldene Atatürk-Statue beheimatet), wo eine Türkische Rock-Band die Leute empfing und der Bürgermeister Alpay Var eine kurze Ansprache hielt. Viel verstanden habe ich leider nicht – da reicht mein bescheidenes Türkisch noch nicht aus – aber ein Satz wird mir noch lange in Erinnerung bleiben, denn er hätte wichtiger und passender nicht sein können: „Selbst wenn man jede Pflanze ausreisst, kann man den Frühling nicht aufhalten.“

Geliebte Türkei – ich drücke dir ganz fest die Daumen für die kommende Stichwahl vom 28. Mai 2023. Möge der Frühling so geschichtsträchtig werden, wie damals am 19. Mai 1919!

Text & Bilder: Markus Mallaun

     

 

Şarköy – der Film

Wer mehr über dieses kleine, wunderschöne Städchen am Marmarameer erfahren möchte; Ich habe vor einigen Jahren einen kleinen Film über Şarköy gedreht.

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