Heute hatten wir ein besonders stilvolles Exemplar eines Pulpo-Tentakels vor der Linse. Aber emotional war das gar nicht so einfach, da Tintenfische spezielle Lebewesen sind.  

Text & Bild: Markus Mallaun


 

Bereits seit Wochen schleppe ich eine Bildidee mit mir rum, die ich irgendwann mal umsetzen wollte. Die Idee ist eigentlich ganz simpel: Die grafische Schönheit eines Pulpo-Tentakels, eingebettet in saftige, grüne Wiesenkräuter, platziert auf einem schwarzen Teller und einem schönen Holzuntergrund. Inspiriert wurde ich zu dieser Idee übrigens von der grossartigen Food-Fotografin Marta Mauri – in meinen Augen die absolute Meisterin der Dark Mood Food Photography.

Angefangen hat eigentlich alles, als wir heute morgen in der Delicatessa-Abteilung vom Globus eine wunderschönen Tintenfisch-Tentakel gefunden haben. Das tönt jetzt so überaus pathetisch, ist aber ein ganz wichtiger Aspekt. Denn immer wenn ich auf der Suche nach dem geeigneten Pulpo war, waren die Teile entweder nicht grazil genug geformt, einzelne Saugnäpfe waren verletzt oder sie hatten sonst welche Beschädigungen, die mir nicht gefallen haben.

„Es ist gar nicht so einfach, einen makellosen Pulpo-Tentakel zu finden, wenn die nächste Meeresküste 420 km entfernt ist.“

Um so grösser war mein Herzhüpfer, als ich dieses wunderschöne, makellose Teil entdeckt habe. Perfekt gekringelt, jeder einzelne Saugnapf im perfekten Shape und eine zartrosa Haut wie aus einer Loréal-Werbung.

Letzte Woche war auch so ein Schlüsselmoment. Wir waren mit unserem Hund spazieren und kamen an einem Haus vorbei, wo zwei Jungs dabei waren, ihr altes Hochbeet im Garten zu zerlegen. Ich musste natürlich gleich fragen, ob ich die alten Holzlatten haben dürfe – sie würden perfekt für ein Foodbild passen, das ich im Kopf habe. Kein Problem meinten sie und waren dankbar, die morschen Dielen loszuhaben.

Das schönste Model in der Food-Photography - der Pulpo
Das schönste Model in der Food-Photography – der Pulpo

Die Sonne stand bereits etwas tiefer und unser Hund wollte bereits wieder raus, um sein Bein zu heben. Also machten wir nochmals eine Runde, um uns dann voll auf das Bild konzentrieren zu können. Und wieder haben wir ein Accessoire für diese Komposition gefunden. Meiner Frau sind die drei romantischen Blüten – die ersten Frühlingsvorboten in diesem Jahr aufgefallen, welche wir spontan ins Bild eingebaut haben.

Im Studio haben wir dann zuerst mal alle Elemente bereit gelegt, die Food-Teile vorbereitet und den Shooting-Ablauf definiert.

  • Tellerposition bestimmen
  • Tetheraufnahme vorbereiten und Licht einrichten
  • Kräuter sortieren und die Schönsten raussuchen
  • Kräuter zurecht schneiden
  • Pulpo reinigen
  • Blüten positionieren
  • Pulpo abflämmen
  • Pulpo mit Oel bepinseln
  • Kräuter mit Wasser bestäuben
  • Kräuter sofort platzieren
  • abdrücken

Am Ende geht dann alles ruck zuck. Muss es auch. Denn wenn mal alles perfekt vorbereitet und platziert ist, bleibt nicht mehr viel Zeit. Im Gegenteil. Frische Kräuter können ihren Glanz verlieren, Gebratenes wird nach kurzer Zeit stumpf und ein Saucen-Schäumchen fällt schneller in sich zusammen, als dass man „Rumpelstilzchen“ sagen kann.

Als Lichtquelle diente uns übrigens ganz normales Tages-/Abendlicht, das durch ein Nordlichtfenster ins Studio strahlte. Links, rechts und von vorne haben wir mit schwarzen Flags abgedunkelt, um das Licht zielgerichteter von einer Seite (von hinten) zu führen.

Das schöne, goldene Besteck ist übrigens von Marlies Friedli-Enderle und ihrem schicken Accessoire-Laden „Usgsuechts“ in Bonstetten.

Das moralische Dilemma

Doch kommen wir zum moralischen Dilemma. Zurzeit läuft auf Netflix ein sagenhaft romantischer Dokumentarfilm mit dem etwas verklärten Titel „My Octopus Teacher“. Es geht in diesem Film um die ungewöhnliche Beziehung, die der Südafrikanische Tierfilmer Craig Foster zu einem Tintenfischweibchen aufgebaut hat. Der Film ist so toll, dass er für 2021 in der Kategorie Dokumentarfilm sogar für einen Oskar nominiert ist. Sagenhaft tolle Unterwasseraufnahmen und eine Story, die jedem hartgesottenen Türsteher das Tränenwasser in die Augen treibt, machen diesen Film zu einem cineastischen Leckerbissen.

Der Pulpo mit Olivienöl, Zitronenschnitz und einer Seele

Und genau hier beginnt das Dilemma; Man lernt in dieser Doku das Lebewesen des Octopus auf eine ganz neue Art und Weise kennen, als wenn es einem beim Italiener mit Olivenöl und einem Schnitz Zitrone serviert wird. Man sieht in diesem zarten Geschöpf plötzlich viel mehr als zum Beispiel bei einem Fisch und bekommt plötzlich ein unendlich schlechtes Gefühl dabei, sich vorzustellen, so ein faszinierendes Ding vor sich auf dem Teller zu haben.

Entsprechend hat es uns etwas Überwindung gekostet, diesen abgehackten Tentakel als das zu betrachten, was es eigentlich ist: Ein Stück totes Tier, das für den Verzehr zum Verkauf angeboten wurde. Wenigstens hatte es in freier Wildbahn ein würdiges Leben und musste nicht in einem Plastikeimer aus der Aquakultur seine Runden im antibiotikageschwängerten Wasser drehen.

Props wandern nicht einfach in den Mülleimer

Am Abend gab es bei uns zu Hause übrigens eine schmackhafte Vorspeise. Wir haben unseren hoch gelobten Tentakel schlussendlich seiner Endbestimmung zugeführt und ihn zu einer leckeren Vorspeise verarbeitet:

Gegrillter Pulpo
Unser Pulpo wurden ehrenhaft zur Vorspeise verarbeitet

In Olivenöl gebratener Pulpo-Tentakel mit Tomaten- und Knoblauchstiften an selbst gemachter Microgreen-Pesto und Spuren von Mayo, serviert mit einem selbst gemachten Baquette. Hat sehr lecker geschmeckt und wir sind überzeugt, unserem kleinen Tintenfisch ein würdiges Ende bereitet zu haben.

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