Regelmässig treffen sich am GP Mutschellen Benzinsüchtige, Zylinderjunkies, Liebhaber von alten Autos und so Otto Normalverbraucher, wie ich. Eine Reportage über die schönsten historischen Rennmaschinen der Schweiz.

Text & Bilder: Markus Mallaun


 

Zugegeben; Ich habe nicht viel Ahnung von Autos und Motoren. Und von Oldtimern schon mal gar nicht. Aber eins verbindet mich mit den (wenigen) Damen und (vielen) Herren, die ich am GP Mutschellen in Rudolfstetten getroffen habe: Emotionen und Leidenschaft. Wenn ich das tiefe Brummen eines 12 Zylinder Motors dröhnen höre, kann man zusehen, wie sich bei mir jedes einzelne Haar an Armen und Nacken aufstellt und im Rhythmus der Kolben auf und ab federt. Spass pur. Keine Hybridmotörchen, keine Computergesteuerten Abstimmungen, keine Chip-Bausätze und wenig Elektronik. Viel mehr pure Motorenkraft, Dreck und viel Patina.

 

Cadillac Serie 314 V8 Racer 1926 © Mallaun Photography
Cadillac Serie 314 V8 Racer 1926 © Mallaun Photography

 

Bereits als ich vom Parkplatz zum Festgelände lief, hörte man von Weitem die Motoren tanzen und was sonst in der Aglo als Penisverlängerungsgehabe zelebriert wird, war für einmal edelster Sound auf höchstem Niveau. Die Motoren der prächtigsten, historischen Rennmaschinen, die die Schweiz zu bieten hat – alle versammelt, am GP Mutschellen in Rudolfstetten; Ein Festessen für Liebhaber von ungezügelter Ingenieurtechnik und Geruch von Öl und exotischen Benzinmischereien.

„IM GRUNDE GENOMMEN SIND WIR ALLE IM HERZEN NOCH JUNG GEBLIEBENE TÖFFLIBUEBE“

Man kennt sich in der Szene. Alle scheinen eine grosse Familie zu sein. Immer wieder beobachte ich, wie ältere Herren, mit noch frischem Dreck unter den Nägeln vom Schrauben, sich unbemerkt anschleichen, ihre Kumpels anstupsen und mit markigen Sprüchen wie „Hey Karri – isch bi dir nöd au scho chli dä Lack ab?“ zur Begrüssung auf die Schippe nehmen. Brüderliche Umarmungen und freudiges Wiedersehen. Es werden Anekdoten ausgetauscht, in Erinnerungen geschwelgt und es wird viel gelacht.

 

Gaggenau-Rolls Modell 17, 1934 © Mallaun Photography
Gaggenau-Rolls Modell 17, 1934 © Mallaun Photography

 

„Ich bin für artgerechte Haltung. Bei einer rennmaschine muss man Gas geben“

Gleich irgendwo am Anfang des Corsos bin ich bei Alfred Moser hängen geblieben. Er sitzt neben einem rot leuchtenden Schmuckstück – einem Lucchini LM 89 Symbol Gruppe CN mit einem 3 Liter V6 Alfa Romeo-Motor – mit dem der damaligen Formel 1 Fahrer Arturo Merzario Rennen gefahren ist. Arturo Merzario war es übrigens, der Nikki Lauda bei seinem verheerenden Unfall am Nürburgring aus seinem brennenden Ferrari zog. Ein Auto mit Geschichte also. Das ist es auch, was ein Auto wertvoll macht. Nicht nur das Alter ist entscheidend – es ist sein Nimbus und seine Einzigartigkeit.

 

Lucchini LM 89 Gruppe CN, 1989 © Mallaun Photography
Lucchini LM 89 Gruppe CN, 1989 © Mallaun Photography

 

Alfred Moser ist ein kumpeliger Typ. Gross, markant, gesellig und wir kommen schnell ins Gespräch. „Ich bin für artgerechte Haltung. Bei einer Rennmaschine muss man Gas geben.“ Er stammt aus einer Autoschrauber-Familie. Sein Vater besass schon eine Autospenglerei und so kam es, dass ihm das Benzin bereits im Kinderschoppen verabreicht wurde. „Im Grunde genommen sind wir alle im Herzen noch jung gebliebene Töfflibuben.“ Kaum mit 18 den Brief in der Tasche, durfte er den Ferrari Daytona 365 von Papa ausleihen. „Wir sind dann damit nach Spreitenbach zum Einkaufen gefahren – da waren wir schon ziemlich die Helden im Dorf.“ 

 

Jaguar C-Type Proteus, 1956 © Mallaun Photography
Jaguar C-Type Proteus, 1956 © Mallaun Photography

 

Aber auch wenn man teure Autos quasi in die Wiege gelegt bekommen hat, gibt es Momente im Leben eines Autosammlers, die einem Enthusiasten wie Alfred Moser das Augenwasser in die  feuchte Augen treibt. Auf seinem roten Teufel klebt neben dem Alfa-Romeo-Logo auch ein Sticker vom Autodromo Nazionale Monza. „Das war ein unglaublich emotionales Erlebnis – du bekommst Hühnerhaut, wenn du mit 265 Sachen durch die Curva Grande bretterst und so eine historische Strecke befährst“. Ich kenne diese legendäre Strecke im königlichen Park von Monza sehr gut. Bin sie selbst schon dutzende male gefahren. Allerdings auf der Playstation; Habe also keine Ahnung, kann aber trotzdem wenigstens ein ganz klein wenig mitfiebern.

 

Fiat Abarth 2000 Sport SE 010, 1968 © Mallaun Photography
Kuno Schär und der Fiat Abarth 2000 Sport SE021, 1971 © Mallaun Photography

„Ich war bereits zwanzig mal am Vernasca Silver Flag Bergrennen“

Gleich nebenan stehen zwei weitere rote Teufel. Absolute Raritäten aus dem Hause Fiat Abarth. Der 2000 Sport SE010 aus dem Jahre 1968 und der Proto SE021, Jahrgang 1971. Nur wenige Exemplare wurden vom Proto gebaut und Kuno Schär in seinem gelben Overall strahlt bis über beide Ohren, als er mir mit grossem Stolz von der Geschichte dieser beiden Boliden erzählt und davon, dass er den Proto heute am GP Mutschellen fahren darf.

 

Fiat Abarth 2000 Sport SE 010, 1968 © Mallaun Photography
Fiat Abarth 2000 Sport SE010, 1968 © Mallaun Photography

 

Kuno Schär ist eher der ruhige, besonnene Typ. Vorsichtig geht er mit seinen Prachtsexemplaren um. Nicht einfach bolzen und Gas geben – dafür sind die Raritäten zu kostbar. Er muss es wissen; Denn er ist nicht nur leidenschaftlicher Sammler von historischen Rally Fahrzeugen – er ist auch Präsident vom Swiss Historic Racing Team und organisiert regelmässig Oldtimer-Touren sowie Fahrtrainings an den bekanntesten Rennstrecken Europas. „Ich war bereits zwanzig mal am Vernasca Silver Flag Bergrennen“, – ein Bergrennen der Extraklasse, wie er mir erklärt. Als wir uns unterhalten, beugt sich neben ihm ein kräftig gebauter Mechaniker mit dichtem schwarzem Haar, Dreitagebart und grossem 24er Maulschlüssel über die geöffnete Heckklappe des Abarths. Ernesto Piccirilli mit seinem Team. „Mit der Benzinpumpe stimmt etwas nicht so richtig. Die müssen wir neu einstellen. Das da drüben ist übrigens der Edi Wyss. Er hat schon selbst ein Formel 1 Auto entwickelt und mit McLaren F1 zusammengearbeitet“, meint Kuno Schär. Rennlegenden und Persönlichkeiten – wohin das Auge blickt.

Gross kann das mechanische Problem nicht gewesen sein. Denn pünktlich zur nächsten Ausfahrt der Gruppe 7 „Formel und Rennsportwagen Nachkrieg“ steht der Fiat Abarth 2000 Sport SE010 mit röhrenden Rohren bereit, um mit rauchenden Reifen den Start anzutreten.

 

Van Diemen Formel Ford 1600 RF, 1984 © Mallaun Photography
Van Diemen Formel Ford 1600 RF, 1984 © Mallaun Photography

 

„WETSCH MAL INE SITZE, KEVIN?“

Der GP Mutschellen ist eine Veranstaltung für Jedermann. Aus allen Ecken der Schweiz sind sie angereist. Viele Familien, viele Väter mit ihren Jungs an der Hand. Nicht wenige, die mit glänzenden Augen versuchen ihre Begeisterung für Motoren dem Nachwuchs weiterzugeben. „Wetsch mal inesitze, Kevin?“ höre ich neben mir einen Vater seinen 4 jährigen Sohn zu überzeugen, der die Sache aber irgendwie nicht ganz so lässig findet und sich quängelnd hinter seinem Plüschtier versteckt. Vielleicht wird er mal Balletttänzer oder Synchronschwimmer – aber bestimmt kein Rennfahrer.

 

Ernesto Delgado, Ferrari F 102 BB/512, 1979 © Mallaun Photography
Ernesto Delgado, Ferrari F 102 BB/512, 1979 © Mallaun Photography

„AM WEEKEND FAHREN WIR RENNEN UND DEN REST DER WOCHE GENIESSEN WIR.“

Einige Meter weiter treffe ich ein Original. Ernesto Delgado. Vierundsiebzig Jahre alt, schlohweisses Haar und eine noch coolere Brille als YouTube-Held Casey Neistat auf der Nase. Gelb-/schwarzes Leopardenmuster von Ray Ban – passend zu den Farben vom Ferrari-Logo, das seinen knallroten Overall und die vergilbte Schirmmütze ziert.

Ernesto ist mir sofort aufgefallen. Sein Erscheinungsbild ist so cool, dass ich nicht anders kann, als ihn anzusprechen. Mit Traktoren auf dem Bauernhof seines Vaters hat alles angefangen – seine Leidenschaft für Motoren. Dann kamen die Töfflis und sein erstes richtiges Motorrad; Eine Royal Enfield. Im Gegensatz zu meinen Rennskills auf der Playstation kann ich nun endlich mal mitreden. Denn auch ich besitze eine Royal Enfield Bullet 500. Alles ganz einfach gestrickt. Etwas anders gebaut, seitenverkehrte Schaltung und die Hälfte der Zeit in der Garage aufgebockt. Wir sind uns einig, dass dies noch echte Motorräder sind.

 

AC Cobra 427 SC Contemporary, 1965 © Mallaun Photography
AC Cobra 427 SC Contemporary, 1965 © Mallaun Photography

 

Bereits im Alter von 22 Jahren besass der gelernte Koch sein erstes PS-Monster. Einen 356er Porsche. Gleich darauf folgte ein Jaguar XK 120. Noch heute ist es für ihn das Grösste, mit seinem Ferrari ins Tessin zu fahren. Am liebten würde er – wenn man in Andermatt in die Röhre fährt – den Motor so aufdrehen, dass man das Fauchen seines Auspuffs auf der anderen Seite der Röhre in Ascona hören kann. Erinnerungen werden wach an alte Zeiten. Damals, als er mit Fredy Quinn zusammen in den 70er Jahren Ascona unsicher machte – auch er ein Ferraristi mit Leib und Seele. Aber diese Zeiten sind längst vorbei. Heute nimmts Ernesto gemütlicher. „Am Wochenende fahren wir Rennen und den Rest der Woche geniessen wir“, meint Ernesto schelmisch und zeigt mir sein rotes Schätzchen, das unscheinbar im Vorgarten eines Einfamilienhauses die Blicke der Zuschauer auf sich zieht.

 

Nash 480 Aeropower, 1930 © Mallaun Photography
Nash 480 Aeropower, 1930 © Mallaun Photography

 

Heute ist Ernesto mit seinem Ferrari BB 512 SL 12 Zylinder an den GP Mutschellen gekommen. Das Prachtstück gehörte einst Niki Lauda. Baujahr 1982. Ebenfalls ein seltenes Exemplar. Manch einer würde dafür sein Einfamilienhäusschen verkaufen, um so einen Ferrari sein eigen nennen zu dürfen. Eigentlich ist der BB 512 SL viel zu schwer für heutige Verhältnisse. Er bringt fast zwei Tonnen auf die Waage. Aber das heisst nichts. Im Gegenteil. „An Leistung happerts nicht. Wenn du damit in der Stadt unterwegs bist, blitzts dich ständig – bereits im ersten Gang bin ich damit auf 85“. Sein BB 512 SL ist noch einer mit Sauger-Mittelmotor. Viel brachialer. Danach kamen die Einspritzer – nicht so Ernestos Ding. Er ist eher für ungezügelte Rennpferde mit intensiven Genen. Eben wie das Logo von Ferrari. „Das ist das sich aufbäumende Pferd – das Cavallino Rampante“, wie er mich aufklärt.

 

BMW 325 E30, 1989 © Mallaun Photography
BMW 325 E30, 1989 © Mallaun Photography

„DER SCHÖNSTE VON 187“

Es gibt zwei Sorten von Autoliebhabern; Diejenigen, die ein oder zwei „Schätzis“ haben und die anderen, die ihre Tiefgarage – so gross wie eine durchschnittliche Turnhalle – mit ihren zahlreichen Raritäten füllen. Markus Michel zählt zu ersteren. Er ist der Besitzer des Alpine Renault A110 SC. Jahrgang 1973. „Der Schönste von 187“ titelte das offizielle Programmheft des GP Mutschellen und verlieh dem gelben Rennwagen aus Frankreich den offiziellen Ritterschlag. Auch Markus ist im Rennzirkus aufgewachsen. Sein Vater fuhr „pokalmässig, erfolgreich“ Töffrennen. Seinen knallgelben Alpine Renault besitzt er seit 2004. „Seine cooli Chischte“, wie er sie liebevoll nennt, ist ebenfalls ein seltenes Exemplar. Bloss 187 Exemplare wurden damals hergestellt. Ein Polizist aus Paris hat seinen Alpine damals importiert und ist damit Bergrennen gefahren.

 

Markus Michel mit seinem Alpine Renault A110 SC 1973 © Mallaun Photography
Markus Michel mit seinem Alpine Renault A110 SC 1973 © Mallaun Photography

„WENIGER KAVIAR UND CÜPPLI, DAFÜR MEHR BRATWURST UND EHRLICHES BIER“

Der GP Mutschellen ist ein durch und durch geerdeter Anlass. Obschon manch eine Maschine weit über eine Million Franken kostet und eine grössere Kapitalanlage neben der anderen steht, gibt man sich volksnah, freut sich über jeden, der mehr über die Autos wissen möchte oder einfach nur ein unvergessliches Erinnerungsfoto schiessen möchte. Der GP Mutschellen ist nicht der Bernina Gran Turismo und Rudolfstetten ist nicht St. Moritz. Weniger Kaviar und Cüppli, dafür mehr Bratwurst und ehrliches Bier. Aber eins verbindet sie alle – Benzingeruch, Leidenschaft und dröhnende Motoren.

Text und Bilder: Markus Mallaun

 

Buick Special, 1956 © Mallaun Photography
Buick Special, 1956 © Mallaun Photography
Jaguar C-Type Proteus, 1956 © Mallaun Photography
Jaguar C-Type Proteus, 1956 © Mallaun Photography
Bentley 1 Le Mans 1929 © Mallaun Photography
Bentley 1 Le Mans 1929 © Mallaun Photography
© Mallaun Photography
© Mallaun Photography
Fiat Abarth 2000 Sport SE 010, 1968 © Mallaun Photography
Fiat Abarth 2000 Sport SE 010, 1968 © Mallaun Photography
Fiat Abarth Proto SE 021, 1971 © Mallaun Photography
Fiat Abarth Proto SE 021, 1971 © Mallaun Photography
Nash 480 Aeropower, 1930 © Mallaun Photography
Nash 480 Aeropower, 1930 © Mallaun Photography
GRD/Cosworth Formel 2, 1973 © Mallaun Photography
GRD/Cosworth Formel 2, 1973 © Mallaun Photography
VW Porsche AZ Tech 1964 © Mallaun Photography
VW Porsche AZ Tech 1964 © Mallaun Photography
Rondeau 200 M585 Formel Ford, 1986 © Mallaun Photography
Rondeau 200 M585 Formel Ford, 1986 © Mallaun Photography

 

4 Kommentare

  1. Als Neubesitzer einer X100F bin ich erst jetzt auf diesen großartigen Artikel gestoßen. Super geschrieben und mit richtig feinen Bildern ausgekleidet. Mir gefällt die gewählte Bildanmutung ausgesprochen gut, besonders überzeugend finde ich das Bild vom C-Type Proteus sowie das Portrait von Eduardo. Für mich hat sich mit dem Kauf der X100F allein dadurch eine neue Welt aufgetan, dass ich hier so eindrucksvolle Bilder genießen kann. Deshalb herzlichen Dank für diese Bereicherung!

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