Bei Portraits für Editorial-Beiträge ist das immer so eine Sache mit dem richtigen Mass an Kreativität. Oft sind die Umsetzungswünsche bereits im Vorfeld rund geschliffen oder es fehlt schlichtweg der Mut. Am Beispiel von zwei unterschiedlichen Editorial-Beiträgen fürs Magazin Ladies Drive zeige ich euch, dass man den klassischen Weg verlassen kann und trotzdem professionell rüberkommt.
Text & Bilder: Markus Mallaun
Wer eine Interviewanfrage und die Chance für einen Magazinbeitrag erhält, fühlt sich im ersten Moment mächtig gebauchpinselt. Doch wenn es dann heisst „Wir schicken noch einen Fotografen vorbei“, steigt der Nervositätspegel bei vielen Protagonisten. Wird man mich vorteilhaft ablichten? Wird man mein Doppelkinn sehen? Was soll mein Umfeld über mich denken? Die Beweggründe für die Aufgeregtheit sind vielschichtig.
Seit Jahren dürfen wir für das Business Magazin Ladies Drive fotografieren. Bereits zum zweiten mal haben wir für einen Editorial-Beitrag Betina Balitzki portraitiert. Betina Balitzki ist Unternehmens-Beraterin in einem grossen, internationalen Beratungsunternehmen mit Sitz in Zürich. Gute Voraussetzungen also für ein klassisches Portrait-Shooting …oder doch nicht?
Bitte Schuhe ausziehen
Gleich bei der Begrüssung ist mir das grosse, rote Sofa im Sitzungszimmer aufgefallen. Schöne Farbe, klare Linien – das werde ich ins Bild einbauen. Das Thema des Editorial-Beitrags war Networking und der Beitrag handelte davon, wie Betina Balitzki und Daniela Beyrouti im Business zueinander gefunden haben.
Wir begannen mit dem Safety-Shot, quasi der Pflichtübung. Beide Damen sitzen auf dem Sofa, schönes Portrait, alles perfekt. Dann probierte ich die gleiche Situation, aber nur eine der beiden Damen sollte auf dem Sofa sitzen.
„Kannst du evtl. im Schneidersitz auf dem Sofa sitzen und Daniela steht daneben“?
„Klar doch, aber mit den Schuhen stört das etwas“.
„Dann mach’s dir einfach bequem“.
„…und stell die Schuhe gleich neben das Sofa“
So entstand das etwas mutigere Bild. Hätte der Novartis-Chef für so ein Shooting seine Schuhe ausgezogen? Oder hätte seine Kommunikationsberaterin ihm dies überhaupt erlaubt? Hätte er deswegen weniger professionell ausgesehen? Sieht Betina Balitzki deswegen weniger professionell aus? Absolut nicht, wie ich meine. Der Kontext passt, das Bild ist sympathisch und die Beziehung der beiden Geschäftsfrauen wird ehrlich und authentisch dargestellt.
Editorial ist nicht gleich Editorial
Klar ist mir bewusst, dass die Bilder auch zum Bildstil des jeweiligen Magazins passen müssen. Es ist doch ein himmelweiter Unterschied, ob man für die Bilanz oder für VICE fotografiert und gerade bei Business-Magazinen ist der kreative Spielraum etwas enger gefasst als bei einer Fotostrecke für ein Lifestyle-Magazin. Doch es gibt zahlreiche gute Beispiele, wie dieser Gestaltungsspagat super gelingen kann. Mein grosses Vorbild ist diesbezüglich sicher Joe MacNally, der für eine gute Fotostrecke schon mal auf die Spitze des Empire State Building klettert. Oder Marco Grob, den wohl bekanntesten Schweizer Fotografen, der nicht nur sehr starke Portraits schiesst, sondern auch für seine ausserordentlichen Editorial-Fotos berühmt ist. Schönes Beispiel, wie Marco Grob zusammen mit dem Schauspieler Bill Murray eine spannende Fotostrecke für GQ realisierte.
Vertrauen ist die Mutter der Porzellankiste – nicht Vorsicht
Um so schöner, wenn man Kunden hat, die uns als Fotografen freie Hand lassen und uns als Profis vertrauen. Vertrauen ist wohl eines der wichtigsten Zauberworte in diesem Zusammenhang. Nichts würde mir ferner liegen, als meinen Kunden mit einem schlechten Bild in die Pfanne zu hauen. Gibt es denn so viele schwarze Schafe in unserer Zunft, dass viele Kunden so vorsichtig sind? Ich wage dies mal zu bezweifeln. Die Schweiz ist ein Dorf. Und die Medienszene ist sehr überschaubar. Es spricht sich schnell rum, wenn jemand schlechte Arbeit abliefert oder das Vertrauen seiner Kunden und Auftraggeber verspielt. Wenn ich schlechte Arbeit abliefern würde, ruiniere ich nicht nur meine Reputation beim Kunden – das geht viel weiter; Die Redaktion ist dann auf mich sauer, der Leser ist enttäuscht und mein Umfeld bekommt ebenfalls mit, wenn ich Gaggi abliefere.
Der Englische Haudegen der Portrait-Fotografie David Bailay hat vor einigen Wochen im Magazin der Süddeutschen Zeitung folgendes Statement abgegeben: „Ich habe nie verstanden, warum man zuerst einen bestimmten Fotografen beauftragt und ihm dann hinterher sagen will, was er zu tun und welches Bild er auszuwählen hat. Sie gehen doch auch nicht zu David Hockney und sagen «Machen Sie mir mal zehn Bilder, ich wähle dann am Ende das beste aus». Der würde Ihnen mit seiner rauchigen Stimme schon sagen, wohin Sie sich zu verziehen haben“.
Text & Bilder: Markus Mallaun