Shivji Joshi leitete als Professor jahrelang die Abteilung Philosophie der Jodhpur Jai Narayan Vyas University und ist gleichzeitig ein begnadeter Fotograf, dessen Werke regelmässig im Magazin National Geographics publiziert worden sind. Heute gibt er sein fotografisches Wissen weiter und begeistert damit Studenten aus ganz Indien.
Text & Bilder: Markus Mallaun
Stolz thront er an der Wand seiner bescheidenen Unterkunft – der Nikon Kalender 2010, mit seinem Bild der Kamele in den Dünen der Wüste Thar. Wir sitzen mit Shivji Joshi zusammen in seinem „Class Room“, wie der 73 jährige Fotograf seine Behausung nennt. Winzige 15 Quadratmeter. Ein kleines, hellgrün gestrichenes Zimmer, in den verwinkelten Gassen von Jodhpurs Altstadt. Spartanisch ausgerüstet mit einem Bett, drei Sofasesseln, die noch aus der Kolonialzeit stammen könnten, zwei roten Stühlen und einem kleinen, fahrbaren Computertischchen.
DER CLASS ROOM
„Neun fotobegeisterte Studenten unterrichte ich hier – manchmal wird es etwas eng, wenn wir Prüfungen schreiben“, entschuldigt er sich und schmunzelt trotzdem zufrieden durch seinen kunstvoll geschwungenen, weissen Schnauz.
Shivji Joshi ist Professor der Philosophie und leitete bis zu seiner Pensionierung vor 13 Jahren die Philosophische Abteilung der Jodhpur Jai Narayan Vyas University.
„Die Fotografie ist für mich ein sehr starkes Mittel, um einerseits meine innere Seele zu entdecken und mich andererseits noch besser mit den Gefühlen und Emotionen meiner Mitmenschen in Verbindung zu bringen“.
Heute bildet Shivji immer noch Studenten aus – seine eigenen. Denn vor Kurzem hat der begnadete Fotograf damit begonnen, Kurse in Fotografie anzubieten. Kostenlos. „I make that for satisfaction and happiness“, wie er uns sagt. Die Fotokurse wurden schnell ein grosser Erfolg und es dauerte nicht lange, bis seine Studenten aus ganz Indien zu ihm angereist kamen. Stolz kramt er einen Stapel handgeschriebener Blätter hervor; Die Prüfungen seiner Studenten. Sauber vorbereitet, akurat mit rotem Stift bewertet und in einem vergilbten Sichtmäppchen gesammelt.
Shivji begann schon früh sich für Fotografie zu interessieren. Zu einer Zeit, wo die Entwicklung eines Negativ-Films für ein durchschnittliches Indisches Lehrereinkommen fast schon ein kleines Vermögen kostete. „Ich geniesse es sehr, die Welt durch meine Kamera zu betrachten. Wenn ich zum Beispiel den Finger am Auslöser habe und meine Augen durch den Sucher meiner Kamera wandern, spüre ich weder Hunger noch Durst. Und wenn es mir dann gelingt, die natürliche Schönheit der Landschaften mit meiner Kamera einzufangen, bin ich dem Gefühl von absoluter Glückseligkeit sehr nahe“.
THE BACKBONE OF MY LIFE
Ohne die Unterstützung seiner Frau Devi Ji wäre dies nie möglich gewesen – denn die Kosten für sein Hobby mussten vom Haushaltsbudget abgespart werden. „My ambition, was her ambition – she is the backbone of my life“ sagt er, hält meine Hand fest, lächelt und Tränen kullern über sein freundliches Gesicht.
Emotionen gehören zur Fotografie wie das Herz zur Seele, und man könnte sich mit dem ehemaligen Philosophie-Professor stundenlang über die Verbindung zwischen seinem Beruf und seiner Leidenschaft unterhalten; „Weitsicht zu haben ist ein wesentlicher Bestandteil der Fotografie – etwas, was mich schon die Philosophie gelernt hat. Es ist eine andere Art und Weise, wie ich mit meiner Kamera die Welt betrachten kann. So kann ich durch diesen Weitblick die anmutigen femininen Formen in den Kurven und Linien einer Sanddüne erkennen oder menschliche Konturen in den wilden Furchen einer Felsformation. Durch die Fotografie eine breitere Sicht auf die Dinge zu haben, machte mein Leben reichhaltiger und tiefgründiger“, meinte er auf meine Frage, wie er denn die Verbindung zum Thema Philosophie und Fotografie beschreiben würde.
„Facebook erlaubt mir nicht, mehr als 5’000 Kontakte zu haben.“
Es sind denn auch die kräftigen Farben und die garstige Schönheit der Wüste Thar, die Shivji und seine Landschaftsfotografien weltberühmt gemacht haben. Denn nicht nur im Nikon Kalender sind seine Werke verewigt worden; Viele seiner lebendigen Fotografien wurden regelmässig im renommierten Magazin National Geographic publiziert und er gewann zahlreiche Internationale Wettbewerbe mit seinen Bildern. Shivji nutzt heute aber auch die digitalen Medien, um seine Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auf meine Frage hin, ob wir uns denn auch auf Facebook verbinden wollen, schmunzelt er und meint: „Gerne. Aber ich muss zuerst warten, bis mich jemand „unfriended“ – Facebook erlaubt mir nicht, mehr als 5’000 Kontakte zu haben.“
SHIVJI JOSJI GIBT EINZIGARTIGE FOTOKURSE IN JODHPUR
Wenn man mit Shivji über seine Fotokurse spricht, merkt man schnell, dass für ihn die technischen Aspekte der Fotografie zwar ein wesentlicher Bestandteil sind, die man beherrschen muss. Viel wichtiger ist ihm aber, seinen Schülern zu vermitteln, sich ganz auf das Thema der Fotografie einzulassen und die Technik lediglich dafür zu nutzen, die Essenz der Fotografie in ein emotionales Gesamterlebnis verschmelzen zu lassen.
Parallel zur Landschaftsfotografie hat sich Shivji immer auch mit Street Photography beschäftigt und geniesst die unvergesslichen Begegnungen mit den Menschen, die man dabei erleben kann. „Wenn ich für die Menschen, die ich auf der Strasse fotografiere, Empathie entwickle, gelingen mir immer die besten Aufnahmen. Das Lächeln eines alten Mannes oder das Lachen eines Kindes, machen mich dann sehr glücklich“, erklärt er seine Begeisterung für Street Photography.
Ich frage ihn, ob er sich an sein allererstes Foto erinnern könne. Da steht er auf, greift oberhalb der kleinen Ganesha-Tempelnische ins Regal und überreicht mir ein altes schwarz-weiss Foto. Halb verblasst, in einem verkrusteten Silberrahmen verpackt, steckt sein aller erstes Foto, das er damals mit einer Agfa-Kamera gemacht hat. Es zeigt seine Eltern auf ihrem kleinen Bauernhof, ausserhalb Jodhpurs. Es war der Beginn einer grossartigen Reise in die Welt der Fotografie, die ihm nicht nur eine neue Perspektive auf das Leben selber brachte, sondern ihn auch seine Heimat und die Wüste Thar durch die Linsen seiner Kamera neu entdecken liessen.
Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre hat einmal geschrieben: „Wenn Ihr eure Augen nicht gebraucht um zu sehen, werdet Ihr sie brauchen um zu weinen.“ Und so verabschieden wir uns von Shivji Joshi zwar mit einigen Tränen in den Augen und einer ganz, ganz schönen Erinnerung an diese Begegnung; Aber immer wissend, dass wir als Fotografen zu den Sehenden gehören, die mit der Kamera für den kurzen Moment einer Verschlusszeit ein klein bisschen tiefer in die Geschichte eintauchen können, als der Rest der Welt.
Text & Fotos: Markus Mallaun