Der Baum sagte ihm, dass er sich hier niederlassen soll und der Baum wird ihm auch wieder mitteilen, wann es Zeit ist, von hier weiterzuziehen. Vor ihm waren schon unzählige andere hier und auch mit ihnen hat der Baum gesprochen. So zumindest, sind alle überzeugt, mit denen wir gesprochen haben.

Text & Bilder: Markus Mallaun


 

Peabess Giri Naga Baba lebt unter diesem Baum, direkt am heiligen See von Pushkar – für viele Inder ein ebenso heiliger Ort wie Varanassi, dessen spirituelle Ausstrahlung selbst dem hartgesottensten Atheisten das Herz leicht erwärmen lässt. Peabess Naga Baba ist ein Holy Man. Seine Hauptbeschäftigung reduziert sich in erster Linie aufs Meditieren und Sitzen (ich war richtig erstaunt, dass er fürs Foto aufstand). Der 57jährige sitzt dort einfach unter dem grossen, alten Baum, dessen Krone weit über das Ufer des Sees reicht, vor sich ein nie endendes Feuer, ein immer sanftes Lächeln auf dem Gesicht, und für jeden hat er einige warme Worte bereit – auch wenn viele seiner Besucher kein Wort Indisch versteht, weil ein grosser Teil westliche Touristen sind.

 

Naga Baba in Pushkar © Mallaun Photography
Naga Baba in Pushkar © Mallaun Photography

 

Peabess nennt sich selbst „Holy Man“. Und so nennen ihn auch alle anderen. Zwölf Jahre habe er als grosse Lebensprüfung in einer Höhle verbracht. Ohne Kontakt zur Aussenwelt, ohne Besitz irgendwelcher irdische Güter, ohne Sonnenlicht. So begann sein Leben in Enthaltsamkeit. Und so wurde er zu einem Naga Baba. Die Erlaubnis, sich so bezeichnen zu dürfen, hat er von seinem Lehrer Mukesh Naga Baba am Ende seiner entbehrungsreichen Ausbildungsphase erhalten. Unter Indiens über 5 Millionen Sadhus stellen die Naga Babas im Hinduistischen Glauben eine eigene, respektierte Ordensgemeinschaft dar und folgen einer langen, historischen Tradition in ihrem Glaubensbekenntnis zu Gott Shiva. Die meisten Untergruppen definieren ihre Zugehörigkeit über verschiedenste asketische oder meditative Lebensprüfungen, die als eine Art Sühne für vergangene Sünden betrachtet wird.

Früher war Peabess Naga Baba Lastwagenfahrer, geboren im Staate Uttar Pradesh. Und getrunken habe er. „Viel! Viel zu viel“, wie er rückblickend meint. Verheiratet sei er nie gewesen und irgendwann sei ihm dann wahrhaftig God Shiva erschienen. Er war es, der ihm den Weg zur Höhle und seinem Ober-Guru gezeigt habe. Und so begann für ihn die Reise zu sich selbst, der Weg zur Erleuchtung und der völligen Enthaltsamkeit gegenüber dem irdischen Leben.

 

Naga Baba in Pushkar © Mallaun Photography
Naga Baba in Pushkar © Mallaun Photography

 

Sehr überzeugend klingt das, wenn man in sein weises Gesicht blickt, seine dunkeln Lippen studiert und unweigerlich mit den Augen an den Treadlooks seines grauen Barts hängen bleibt. Es ist diese Aura der Ruhe, die in seiner Gegenwart so faszinierend ist, die alle Besucher so geniessen.

Er begrüsst sie alle. Jeder ist bei ihm willkommen und jeder der sich bei ihm niederlässt wird mit einer kleinen Segnung empfangen, indem Peabess seinen Mittel- und Zeigefinger in die Asche vor ihm steckt, die Stirn und anschliessend den Scheitel seiner Besucher berührt und einige schöne heilige Worte vor sich hinmurmelt.

Vorallem am Abend kommen die Leute bei ihm vorbei, um mit ihm zusammen für einen kurzen Moment die Glückseeligkeit des Seins zu teilen. Es ist eine bunte Mischung von Besuchern, die der Naga Baba an seiner Feuerstelle mit dem nie endenden, heiligen Feuer empfängt. Da wären zum einen die klassischen Neckermann-India-Bus-Rundreise-Touristen (zu Dutzenden, ausgestattet mit Pocket-Kameras und Schirmmützen, aber am Ende der Begegnung dennoch erfolglos mit den Plänen ein Foto von ihm zu schiessen, weil er das jedem relativ bestimmt zu verstehen gibt) und zum anderen die nicht selten leicht spirituell angehauchten Freunde des rauchenden Kalumets. Aber auch die Bewohner Pushkars statten ihm regelmässige Besuche ab. Sie bringen ihm Essen, Wasser oder Rauchwaren und sind froh um einige verheissungsvolle Botschaften, ein Lächeln und ein wenig gesegneten Seelenfrieden.

Für jene Westler, die nach Indien gekommen sind, um hier vielleicht ihre cannabinoide Erleuchtung oder einfach nur eine gechillte Zeit zu verbringen, ist Peabess Giri Naga Baba aber auch sowas wie der Good Father of Manali. Was der aushält, kann durchaus manch geübten westlichen Intensiv-Kiffer in Horizontalstellung zwingen. Denn es vergeht eigentlich kaum eine Viertelstunde, wo nicht irgend jemand vorbeikommt, um mit ihm ein frisch gestopftes Shillum zu qualmen. (Wikipedia: Ein Shillum (häufig auch Chillum genannt) ist ein konisches, etwa 10-20 cm langes Holz-, Ton- oder Steinrohr und dient zum Rauchen von Cannabisprodukten. Wegen der meist recht hohen Menge an Inhalt wird ein Shillum selten alleine geraucht).

Holy Man ist in Indien ein sehr dehnbarer Begriff und für westliche Gemüter ähnlich schwierig zu ergründen, wie das leichtfüssige Gebiet der Kernphysik. Sofort stellt man sich als Westler die Frage, wie heilig denn nun ein Indischer Holy Man sein kann. Kann man überhaupt einen Vergleich  mit unserer Vorstellung eines „heiligen Mannes“ anstellen? Die meisten von uns dürften dabei an Theologen denken, die den grössten Teil ihres Lebens mit dem Studium der heiligen Schriften, Philosophien und ihren Mitmenschen verbracht haben, die enthaltsam leben, bescheiden auftreten und nur so vor Geläutertheit sprühen. Sie alle stehen in unserer Vorstellung im krassen Gegensatz zu dem, was Peabess Naga Baba als Holy Man verkörpert.

 

Naga Baba in Pushkar © Mallaun Photography
Naga Baba in Pushkar © Mallaun Photography

 

Viele Inder begeben sich regelmässig in die Hände von spirituellen Führern und suchen deren Rat für alle mögliche Lebensfragen. Und wer schon mal in Indien war, weiss um die hohe Spiritualität und den starken Glauben seiner Einwohner. Dieser ist so vielschichtig wie das Kastenwesen und so ergiebig wie die Quelle des heiligen Ganges. Kein Wunder, gibt es in Indien mehr spirituelle TV-Sender als News-, Sport- und Shoppingkanäle zusammen. Die spirituelle Seele Indiens ist so gross, dass es zahlreiche dieser Gurus, Babas, Yoga-Lehrer und Prediger zu einem Wohlstand gebracht haben, der zusammen genommen in etwa gefühlt dem Bruttosozialprodukt Hawaiis entspricht.

Der letzte Sadhu, der sich hier am Baum in Pushkar niedergelassen hat, war bei den Bewohnern Pushkars übrigens nicht annähernd so beliebt wie Paebess Naga Baba. Sein Vorgänger wurde irgendwann von der Polizei begleitet, aus der Stadt gejagt, um wieder etwas Ordnung an diesen schönen Platz am See zu bringen. Der Vertriebene hatte selbst für die hartgesottensten Gläubigen Pushkars den Bogen zu stark überspannt. Eine richtige Behausung aus Tüchern, Plastikfolien, Holz und Planken soll er um den heiligen Baum gebaut haben. Und seine beiden Haus-Affen haben die Touristen angefaucht und die eine oder andere Kompaktkamera geklaut.

Wir haben Peabess Naga Baba jeden Abend besucht. Schon am ersten Abend trafen wir ihn unter seinem mystischen Baum. Er strahlt einfach eine magische Ruhe aus, der man sich gerne hingibt. Wir haben ihm Süssigkeiten vorbei gebracht, mit ihm Chai getrunken, den Sonnenuntergang genossen, auf das Shilum verzichtet und einfach nur die Zeit mit ihm zusammen und einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht verbracht.

Doch wie heilig ist denn nun unser Naga Baba und wie tiefgründig sind seine Weisheiten? Diese Frage ist für uns nach wie vor unbeantwortet. Unser Dolmetscher hatte dazu eine relativ pragmatische Meinung, als wir uns mit ihm über Peabess unterhalten haben: „Kennst du in Europa einen Priester, der kifft?“

Text: Markus Mallaun

Bilder: Serpil & Markus Mallaun

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