FROM HELL TO ANGEL

Vor einiger Zeit war bei uns in der Gegend, mal wieder Markt. Eine herrliche Gelegenheit, einfach etwas durch die Stände zu flanieren und neue Dinge zu entdecken. Aber dieses mal entdeckten wir nicht nur eine schmackhafte Wurst, sondern eine Persönlichkeit, dessen äussere Erscheinung so überhaupt nicht zu dem passt, was er tatsächlich ist. Lest hier die Geschichte über einen Berg von einem Mann, mit Händen, so feinfühlig wie Feenstaub.

Text & Bild: Markus Mallaun


 

Mike Bains ist uns sofort aufgefallen. Irgendwo zwischen all den Marktständen ragte einfach eine gigantische, braun gebrannter Glatze über die Köpfe hinweg. Ich musste unwillkürlich stehen bleiben und konnte meinen Blick kaum mehr von dieser imposanten Erscheinung losreissen. Mit meinen 190 cm bin ich ja auch nicht unbedingt der kleinste Erdenbewohner. Aber Mike überragte mich nicht nur um eine Kopflänge – sein Format ist auch mindestens doppelt so breit wie meins und seine Oberarme so kräftig, wie meine klapprigen Oberschenkel. Und als ich die Aufschrift auf der Rückseite seiner Rocker-Lederjacke las, war ich vollends maximal irritiert. Wellness Vibrations, stand da drauf.

 

Mike Bains © Mallaun Photography
Mike Bains © Mallaun Photography

Ich sagte noch zu Serpil: „Krass – den würde ich gerne kennenlernen und interviewen“. Aber der Menschenstrom schob uns weiter durch den Markt – aus den Augen, aus dem Sinn. Etwas später hatten wir Hunger und wollten uns was zu Essen besorgen. Und wer sass dort, und verdrückte einen herrlich duftenden Fleischspiess? Der voll tätowierte Mr. Proper mit seiner Begleiterin, neben sich die einzigen zwei freien Sitzplätze. Klar, dass ich sofort dort hin steuerte und fragte, ob wir uns setzen dürfen. Es dauerte nicht lange bis wir ins Gespräch kamen und ich durfte eine Geschichte erfahren, die nicht ganz alltäglich ist und mich schön verblüfft hat.

Wer Mike zum ersten mal sieht, denkt an genau das, was Mike einmal war. An einen Rocker durch und durch. Schweres Geschütz, heavy Tattoos und eine fette Lederjacke. Mike gehörte zu den ganz heftigen Jungs – war Mitglied einer der weltweit grössten Biker-Clubs. Doch diese Zeit liegt hinter ihm. Und mit doch spürbarer Wehmut erzählt er mir, dass er sich vor wenigen Wochen von seiner innigst geliebten Harley verabschiedet hat. „Das war eine andere Zeit – man muss das an den Nagel hängen können, um neu anzufangen“, meint er und kuckt mich mit seinen stahlblauen Augen an. Sanftmütige Augen. Und ein schönes Lächeln auf dem Gesicht. Es passt so gar nicht zu seiner imposanten Erscheinung und seiner Vergangenheit.

Fitness- und Krafttraining gehörten schon immer zu Mike, wie seine vielen Tattoos und die Glatze. Und wer Sport betreibt, weiss, wie wichtig und wohltuend Massagen sein können. Dort merkte er schnell, dass er „ein gewisses Händchen hat“ und dass er Menschen mit seinen Berührungen glücklich machen kann. Jawohl, glücklich, nicht unbedingt nur entspannter. Wellness Vibrations – die Kunst der Berührung, nennt er das.

Angefangen hat alles mit klassischen Massagen. „Als ich einmal eine Kundin massiert habe, merkte ich bei der Berührung sofort, dass da nicht nur die Muskeln verkrampft sind. Ich massierte ein wenig, fand die richtigen Punkte, machte eine kleine Bemerkung und da flossen die Tränen wie bei einem Wasserfall“. Mike ist auch ein guter Zuhörer und was er in seinem früheren Leben als Türsteher in der Rockerszene erlebt hat, hat ihm eine grosse Portion Lebensschule mit auf den Weg gegeben. Es blieb nicht nur beim Zuhören. „Weisst du – ich musste früher selten Gewalt anwenden. Meistens reichte es, wenn ich bei Konflikten mit Zurückhaltung und Bescheidenheit reagiert habe. Irgendwie habe ich es immer geschafft, Situationen ruhig und für beide Parteien auf Augenhöhe zu lösen“. Diese Fähigkeit kommt ihm in seiner heutigen Funktion als Wellness-Masseur zu Gute.

So sind es denn nicht nur die Massagen, sondern die einfühlsamen Berührungen, das Verständnis und die Nähe zu seinen Kunden, welche Mikes Erfolgsrezept ausmachen. Heute lebt er mit seiner Frau in Romanshorn und betreibt dort ein eigenes Studio, wo er mit feinen Händen und als guter Zuhörer und Therapeut seine Kunden von ihren Sorgen und Schmerzen befreit.

Als Fotograf war ich von Mike zu Beginn vorallem von seiner optischen Erscheinung begeistert und wollte in erster Linie ein cooles Bild machen. Aber als wir so gemeinsam dasassen – er mit seinem Fleischspiess, ich mit meiner Bratwurst, merkte ich relativ schnell, dass da noch mehr dahinter steckt und das coole Bild vielleicht nur zweitrangig sein könnte. Und so entstand zwar ein wirklich tolles Foto, aber nebst dem digitalen Erinnerungsstück blieb vorallem die eindrückliche Begegnung und seine Geschichte haften. Und das bereits bevor ich meine in der Zwischenzeit kalt gewordene Wurst zu Ende gefuttert hatte.

Mikes Studio findet ihr übrigens in Romanshorn und auf seiner Website könnt ihr euch ein Bild machen, was er so alles anbietet. Und vielleicht habt ihr ja Lust, euch in seine Hände zu begeben und die Kunst der Berührung zu erleben.

Text: Markus Mallaun

Foto: Serpil & Markus Mallaun

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